Superheldinnen in Not

Die Gesellschaft lebt auf Kosten von Frauen – unter normalen Umständen genauso wie in Krisenzeiten.

„Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft Krisen auf Kosten von Frauen durchsteht“, kommentiert Franziksa Disslbacher von der AK Wien die Ergebnisse einer Zeitverwendungserhebung während des COVID-19-Shutdowns.

Doch auch im Punkt „gesellschaftliche Lastenverteilung zwischen den Geschlechtern“ zeigt uns die „Corona-Krise“ nichts Neues, sondern zeigt Verhältnisse im Brennglas deutlicher: Auch in Nicht-Krisen-Zeiten tragen Frauen laut Statistik viel Verantwortung, um unser aller Leben lebenswert zu machen, und erfahren genau aus diesem Grund viele Nachteile.

In einer Wirtschaftsstruktur, die auf Erwerbsarbeit und Finanz-Kapital ausgerichtet ist, führt die Leistung von unbezahlter Arbeit in Abhängigkeit und Armut.

Was macht unser Leben lebenswert?

Wir alle lieben Zuwendung: Aufmerksamkeit, Unterstützung, Schutz und Geborgenheit machen unser Leben in jeder Phase und überall auf der Welt lebenswert. Deswegen erinnern wir uns meist gerne an die Familienfeiern in unserer Kindheit:

Da gab es gutes Essen, gemütliches Beisammensein und die Wohnung/das Haus war schön geputzt und der Tisch schön gedeckt. Man konnte einfach genießen.
Die ganze Vorarbeit dafür war für die meisten unsichtbar: Je größer die Familie, desto länger musste vorkocht werden, und damit alles reibungslos ablaufen konnte, musste sehr viel hergerichtet werden. Verantwortlich dafür sind in allen Kulturen Frauen: Sie putzen, erledigen den Einkauf und/oder das Schlachten von Kleintieren, kochen, backen, organisieren den Esstisch, das Geschirr – sie räumen her und auch wieder weg und erledigen den Abwasch.

Je nach finanzieller Ausstattung der Familie gab und gibt es Unterstützung, aber selbst diese muss organisiert und angeleitet werden.

Lebenswert macht es unser Leben, wenn wir ein geordnetes Zuhause haben, wenn sich jemand mit uns freut und uns bei Sorgen jemand zuhört, wenn wir uns sicher und geborgen fühlen.

Selbstverständlich gehört da auch die Pflege alter Familienangehöriger dazu, ebenso wie die Kindererziehung und -pflege. Dazu zählt natürlich auch die Sorge um die Bildung der Kinder. Auch dies liegt hauptsächlich in Frauenhand: 80 Prozent von Eltern, die zu Elternsprechtagen in Schulen erscheinen, sind weiblich.

All dies verlangt konkrete körperliche und organisatorische Arbeit ebenso wie seelisch oft herausfordernde Beziehungsarbeit.

In der Welt der Erwerbsarbeit gibt es diese aus der Familie geschätzte menschliche Zuwendung auch:
Wir finden sie in den Berufsbereichen Reinigung, Verkauf im Einzelhandel, Kinder-/Jugend-Betreuung- und -Erziehung aller Art, Sozialarbeit, Kranken- und Altenpflege und ähnlichen. Seit dem Shutdown durch COVID-19 werden diese Berufe auch gerne als „systemrelevant“ bezeichnet.

Aus vielen dieser Tätigkeiten kann man – egal welchen Geschlechts – natürlich viel Befriedigung erzielen.

Wo ist das Problem?

Geht ein Mensch dieser für ein lebenswertes Leben wichtigen Tätigkeiten gegen Entgelt nach, so hat er oder sie ein wesentlich geringeres Einkommen als z.B. in der Automobilindustrie.

Selbstverständlich erhöht auch die individuelle Mobilität die Lebensqualität, aber vor die Wahl gestellt, entscheiden sich die meisten Menschen doch eher für soziale Interaktion als für eine Autofahrt. Insofern ist es hinsichtlich des Beitrages zu einem lebenswerten Leben nicht erklärlich, warum ein Automechaniker ein höheres Grundgehalt hat als eine Kinderpädagogin. Noch dazu, wenn die Tätigkeit der letzteren als systemrelevant eingestuft wird. Trotzdem wird sie nach Beschluss der Sozialpartner mit einem niedrigeren Kollektivvertrags-Gehalt entlohnt.

Übernimmt ein Mensch diese Aufgaben unbezahlt im Familienkreis, so folgt daraus:
Weniger Zeit, Erwerbsarbeit nachzugehen, weniger Zeit für das berufliche Networken und weniger Zeit für Weiterbildung, woraus flachere Karriere- und Einkommensverläufe und weniger Vermögensaufbau folgen, weniger Zeit für politisches Engagement und damit weniger gesellschaftliche Mitbestimmung und am Ende des Tages aus alledem eine schlechtere Absicherung gegen Altersarmut – und keine Änderung der Strukturen.

Die Nachteile, die sich demnach aus „das Leben lebenswert machenden“ und sogenannten „systemrelevanten“ Tätigkeiten ergeben, beruhen selbstverständlich nicht auf dem individuellen Geschlecht, treffen aber laut Statistik in erster Linie Frauen.

All das ist nicht erst im März 2020 über die Frauen hereingebrochen, all das sind keine Kennzeichen einer Krisensituation. Es ist die andauernde Lebensrealität von Frauen in Österreich.

Was braucht es?

Wie für alle Problembereiche, die wir dank COVID-19 nun vermehrt diskutieren, wie z.B. Bildung, Umwelt, Gesundheit, kommen wir auch in punkto Geschlechtergerechtigkeit nur weiter, wenn wir gemeinsam als Gesellschaft neue, an der Anerkennung menschlicher Bedürfnisse ausgerichtete Strukturen aufbauen.

Dafür braucht es Zuwendung im Sinne von „Hinschauen und aufmerksam Beachten“ und das zur Verfügung-stellen von notwendigen finanziellen Ressourcen.

Technologie kann uns dabei helfen, Macht- und Besitzstand-Denken dagegen wird eine Veränderung zum Wohle aller weiter blockieren.

Change Management

Von den Politikern an der Macht gibt es auf diese Problematik keine Vorschläge zur Änderung. Das nährt die Vermutung, dass nach dem Hochfahren alles so bleiben soll, wie es immer schon war.

Das sind keine schönen Aussichten – weder für Mädchen, noch für Buben.