Heldinnen in der Krise

In den letzten zwei Wochen haben auch die Spitzen unserer Gesellschaft festgestellt, wer die eigentlichen Systemerhalter sind:

Überraschender Weise sind das nicht die top-bezahlten Top-Manager, sondern die einfache Regalbetreuerin im Supermarkt, die slowakische Pflegerin der Großtante, die Reinigungskraft im Krankenhaus und die Fahrerin des öffentlichen Buses. Kein Politiker und kein Journalist, der derzeit die Bedeutung dieser niedrig entlohnten Menschen, zu 80 Prozent Frauen, nicht überschwänglich betont. „Recht haben sie,“ denkt der einfache Mensch von der Straße, der nicht am Stadtrand in einem Haus mit Garten und zwei Autos vor der Türe und einer großen Tiefkühltruhe im Keller wohnt.

Wie viel Wert hat die Wertschätzung?

Viel ist auch die Rede davon, dass diese Schlüsselkräfte nun endlich jene Wertschätzung erfahren, die ihnen eigentlich immer schon zusteht und dass wir überhaupt eine Neu-Bewertung unserer Gesellschaft erleben. Gerne wird imaginiert, dass wir nach der Krise in einer neuen, i.S.v. besseren, Welt leben werden.

Als Veränderungsberaterin werde ich besonders aufmerksam, wenn ich „wir“ und „man“ höre: Wer sind diese Personen konkret? Wer genau handelt jetzt wie? Und sind „wir“ uns wirklich über die Zielsetzung einig?

Der Lackmus-Test ist immer die Erläuterung der Konsequenzen. Im Falle der derzeit viel gepriesenen engagierten Pflegekräfte aus dem Osten wären z.B. die Rückerstattung der ihnen für ihre Kinder gekürzten Familienbeihilfe und die Aufhebung dieser Ungleichbehandlung erste Schritte, die die Bundesregierung noch dieses Monat setzen könnte.

Ebenso könnten unsere geschätzten vorwiegend weiblichen Pflegekräfte die schon lange geforderte verkürzte Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich erhalten – die Regierung müsste dafür nur Budgets für die Dienstgeber freigeben.

Eine Erhöhung der Entlohnung für die neu entdeckten Schlüsselkräfte würde sogar volkswirtschaftlich Sinn machen, weil die Anhebung von Niedriglohngruppen immer in erhöhten Konsum fließt und außerdem mehr Menschen in diesen Berufen arbeiten wollten. Wir würden sie brauchen.

Oder wie sieht es mit der finanziellen Belastung von Lehrkräften aus, die ebenfalls großteils weiblich nun mit ihren Privatgeräten und auf eigene Kosten für Strom, Telefonie/Datenübertragung und Software, oft unter Negierung des gesetzlichen Datenschutzes, das vom Bildungsministerium beworbene „Distance learning“ von heute auf morgen und bis auf weiteres umsetzen? Geht unsere Wertschätzung soweit, ihnen diese Kosten zu ersetzen?

Verdrängungswettbewerb

Für Menschen, die ihren Arbeitsplatz oder ihr Unternehmen verlieren, haben die genannten „Heldinnen der Krise“, die unsere soziale Infrastruktur am Laufen halten, ein Privileg: Sie behalten trotz Krise ihre Einkommensquelle. Auch wenn sie im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit verhältnismäßig zu niedrig entlohnt werden oder zusätzliche Kosten selbst schultern müssen, haben sie immerhin ein Einkommen. So betrachtet muss es nicht lange dauern, bis aus den anfangs so wertgeschätzten Systemerhalterinnen schnell Privilegien-Ritterinnen werden, die „genau besehen eh genug verdienen“.

Es bräuchte nun eine wirklich couragierte Politik, die über das kurzfristige Krise-bewältigen hinaus den Mut hat, Frauen in sozialorientierten Berufen endlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechend zu entlohnen.

Leider habe ich dazu noch nichts von den Mitgliedern der Bundesregierung gehört. Meine Sorge ist, dass angesichts der Krise, mit dem Killerargument „Derzeit haben wir andere Sorgen.“ derartige Gleichstellungsthemen so schnell vom Tisch sind, wie die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit sich aus den gut bezahlten „Männerberufen“ verdrängt ausschließlich am heimischen Küchenherd wieder gefunden haben.

Aber ich irre mich gerne.